Eine Bratschen-Königin bricht mit Hörklischees

Tabea Zimmermann eröffnet ihren Meisterkurs bei der Wolfgang-Sawallisch-Stiftung in Grassau

Auf den kulturellen Reichtum darf die Region stolz sein. Wo erlebt man es schon, dass sich gleich zwei führende  Bratschen-Persönlichkeiten der Klassikwelt in direkter Nähe präsentieren? Am Sonntag konzertierte Nils Mönkemeyer nachmittags mit seinen Studierenden bei den »InselKonzerten«. Abends präsentierte sich Tabea Zimmermann in Grassau bei der Wolfgang-Sawallisch-Stiftung.

Sie ist nicht einfach die »Königin der Bratsche«. Seit drei Jahrzehnten prägt die 1966 geborene Musikerin die Spielkultur und Interpretation von Generationen. Das tut sie gleichermaßen als Solistin, Kammermusikerin und Lehrerin. Mit »Wiederentdeckungen« oder der Pflege des Neuen entwickelt Zimmermann zudem das Repertoire für die Viola beharrlich weiter. Für diese Haltung hat sie 2020 den großen Siemens-Musikpreis erhalten.

In Grassau weilt Zimmermann nun für eine Woche, um in Meisterkursen den musikalischen Nachwuchs gezielt zu schulen und zu inspirieren. Wie erfolgreich sie darin ist, zeigt sich nicht zuletzt in der Person German Tcakulov. Der Bratschist war ihr Student an der Musikhochschule »Hanns Eisler« in Berlin. Als Mitglied beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) in München tritt er nun in Kürze seine eigene Professur in Karlsruhe an. Beim jetzigen Meisterkurs in Grassau assistiert er Zimmermann.

Zum Startschuss gab Zimmermann ein nachträgliches Geburtstagskonzert für den 2013 verstorbenen, großen Dirigenten Sawallisch. Mit Andrei Banciu am Klavier gestaltete sie ein Programm, das ihr Sein und Wollen als Künstlerin deutlich machte. Da sind die zehn »Variationen über ein eigenes Thema« op. 10 für Viola und Klavier von Joseph Joachim: Als bedeutender Geiger, eng verbunden mit Johannes Brahms, ist er eine Berühmtheit.

Dass er aber als Komponist derart feinfühlig das spezifische Timbre der Bratsche einzufangen verstand, ist bis heute weitgehend unbekannt. Dieses Werk  von 1854 kennt großflächig ausgedehnte Virtuosität genauso wie reduzier ten, kantablen Lyrismus oder eine Thea tralik fast schon wie in einer Kammeroper. Dieses Profil ist spannend und zugleich widersprüchlich, was Zimmermann und Banciu wirkungsvoll verle bendigten.

Was bisweilen in Kitsch abdriften könnte, wurde hier ein veritabler Akt der Offenbarung: ganz ohne Schnickschnack, hellhörig bis ins kleinste Detail. Mit ihrer eigenen Bearbeitung der »Regenlied«-Violinsonate Nr. 1 op. 78 von Brahms wurde wiederum einmal mehr deutlich, wie sehr Zimmermann mit Hörklischees bricht. Ihr Brahms hat nichts Schweres, Teutonisches, sondern gibt sich unerhört klassisch entschlackt. Sie schafft es, einen voluminösen Klang zu zaubern, der stets schlank und transparent bleibt.

In Paul Hindemiths Sonate op. 11 Nr. 4 wurde schließlich vollends deutlich, wie ihr das gelingt: nämlich dank einer glasklaren Artikulation und schnörkellosen Phrasierung. Dabei profitierte Zimmermann in Grassau auch von Banciu. Was dieser 1985 geborene Rumäne aus dem Klavier an differenzierten Farbgebungen zauberte, das war reinste Poesie. In Grassau haben sie sich erstmals als Duo öffentlich präsentiert. An diesem Sonntag steigt um 11 Uhr das große Abschlusskonzert des Zimmermann- Meisterkurses: Nichts wie hin!

Marco Frei

Tabea Zimmermann (Bratsche) und Andrei Banciu am Klavier verwöhnten das Publikum in Grassau mit musikalischer Poesie.