Ein Dirigentenleben auf dem grünen Hügel von Grassau

Erinnerungen an Wolfgang Sawallisch zum 100. Geburtstag

Als Wolfgang Sawallisch im März 1960 mit seiner Ehefrau Mechthild das Anwesen Hinterm Bichl 2 auf dem grünen Hügel in Kuchel am Ortseingang von Grassau, handelt es sich um ein Parkgrundstück von anfänglich 40.000 qm mit Waldung und einem Wohnhaus mit Stadel.

Der damals 36jährige Dirigent war zu dieser Zeit Chefdirigent der Wiener Symphoniker, Generalmusikdirektor an den städtischen Bühnen in Köln und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters in Hamburg.

„Unser Heim in Grassau ist .. zu einer Oase der Ruhe, des Ausspannens, des Nachdenkens geworden. Zwischen den festen Verpflichtungen, die nun an Konzertsäle …. meistens im Ausland geknüpft sind, habe ich mir in meinen Arbeitsplan Ruhepausen eingebaut. Zum ersten Mal seit langem verfolge ich den Wechsel der Jahreszeiten in unserem Garten“.

Zunächst wohnte er mit seiner Ehefrau Mechthild und seinem Adoptivsohn Jörg in dem vorhandenen Gebäude (heutiges Gästehaus, was für jeden Urlauber zu buchen ist) und baute dann die höher gelegene Villa als Wohnhaus mit einem Musikzimmer, der heutige Kammermusiksaal. Später erfolgten weitere Umbauten, wie z.B. 1982 der Anbau eines Hallenschwimmbades, heute der zweite Konzertsaal.

Wolfgang Sawallisch wurde am 26. August 1923 in München geboren. Seinen ersten Klavierunterricht bekam er bereits mit 5 Jahren bei Herrn Pedal, der ihn zum Bäcker schickte für eine Kaisersemmel, an dessen Einkerbungen er halbe und Dreiviertel Noten schnell auseinanderhalten gelernt hat. Als Elfjähriger hat er mit seinen Eltern seine erste Oper (Hänsel und Gretel) gesehen. Damals beschloss er: „Ich möchte das werden, was der da unten gemacht hat.“

In seiner Augsburger Zeit, wo er ab 1947 am städtischen Theater arbeitete, traf er seine große Jugendliebe wieder, die Sängerin Mechthild Schmid. 1952 heirateten sie heimlich in München auf dem Weg zu einem Konzertbesuch in Salzburg. Ihre Hochzeitstafel genossen sie alleine während einer Autopanne in Bergen. Vielleicht war dies auch einer der Gründe, warum er 10 Jahre später das Grundstück in Grassau kaufte. Oder war es eher die Mitte auf der Strecke von Wien nach Hamburg?

Es folgten die Musikdirektorenstellen in Aachen, Wiesbaden und Köln, wo er bereits als Professor eine Dirigier-Meiserklasse leitete. Von 1957 bis 1962 dirigierte er bei den Bayreuther Festspielen und nach 1963 verweilte er lieber auf dem grünen Hügel in Grassau und dirigierte nie mehr in Bayreuth.

1971 wurde er Bayerischer Generalmusikdirektor, 1982 auch künstlerischer Gesamtleiter der Bayerischen Staatsoper, zu deren Ehrenmitglied er 1992 nach seinem Ausscheiden ernannt wurde. 1993 ging er in die USA, wo er bis 2003 das Philadelphia Orchestra leitete. Seine tiefe Verbundenheit mit dem NHK Orchestra Tokyo seit Anfang der 1960er Jahre, welches er vier Jahrzehnte als Gastdirigent betreute, findet man in zahlreichen Erinnerungsstücken und Einrichtungsgegenstände noch heute in der Villa wieder.

Genauso wie seine Liebe zu Italien, und zwar zum einen durch seine Gastdirigate in der Mailänder Scala, aber auch durch seine Aufenthalte auf Ischia. Eines seiner spektakulärsten Aufenthalte fand 1970 statt. Die Aufführung Beethovens „Missa solemnis“ in Anwesenheit von Papst Paul VI. war das erste weltliche Konzert im Petersdom.

„So schön mein Beruf ist, viele alltägliche Genüsse des Lebens bleiben mir versagt…..zum wiederholten Mal die Auseinandersetzung mit der Partitur…., bereit sein für neue Erkenntnisse, sich zu öffnen, auch wenn man glaubt, etwas bereits gut oder mehr als gut zu kennen….das ist eine große Belastung und ein unendliches Glück zugleich.“

In der Villa auf dem Hügel in Grassau hat das Ehepaar Sawallisch aber zu besonderen Anlässen Gäste eingeladen und Besucher empfangen wie z.B. zu seinem 60. Geburtstag 1983. Auf der Gästeliste standen u.a.: Lucia Popp, Dietrich Fischer-Dieskau und Peter Schreier und Elisabeth Schwarzkopf, mit denen er gerne als Liedbegleiter zusammenarbeitete.

Zu weiteren Gästen in der Villa zählten Victor von Bülow, Anne-Sophie Mutter u.v.m.  Aber auch die Musikkapelle Grassau spielte regelmäßig zu den Geburtstagen im Hause Sawallisch auf.

Sein Hausschneider Otto Hofer sen. von Trachten Hofer in Grassau fertigte die maßgeschneiderten Anzüge, Westen und Fracks für die Auftritte des Maestros an.

Nachdem sich Prof. Sawallisch 2003 zur Ruhe gesetzt hatte, verbrachte er seine letzten zehn Jahre bis zu seinem Tod am 22. Februar 2013 in seiner Villa und fand seine letzte Ruhestätte neben seiner 1998 verstorbenen Ehefrau und dem Adoptivsohn († 2013) auf dem Grassauer Friedhof.

Das Anwesen ist auch die Heimat der 2002 gegründeten Wolfgang-Sawallisch-Stiftung, Die Förderung junger Musikerinnen und Musiker war dem Jubilar immer ein großes Anliegen. Im Jahr 2003 wurde der Dirigent zum Ehrenbürger des Marktes Grassau ernannt.

Neben der Förderung der Schüler der Grassauer Musikschule gibt es seit 5 Jahren internationale Meisterkurse in der Wolfgang-Sawallisch-Musikakademie.

Zu den ca. 50 Meisterkursen im Jahr kommen junge Leute aus aller Welt, um sich von hochkarätigen Lehrern unterrichten zu lassen. Und pro Jahr finden inzwischen 50-60 Konzerte statt, zu denen jährlich über 3.000 Besucher kommen. (www.sawallisch-stiftung.de)

 

Bericht von Marion Tippmann-Böge /mtb

erschienen im Rosenheimer Journal August 2023 und in der Chiemgau Zeitung am 01.09.2023