Wolfgang-Sawallisch-Stiftung seit einem Jahr unter neuer Leitung

Die Balance halten zwischen Internationalität und regionalem Wirken

Konzerte, Meisterkurse und Musikvermittlung auf breiter Ebene: So lassen sich die Arbeitsschwerpunkte der Wolfgang-Sawallisch-Stiftung im Jahr 2025 zusammenfassen. Seit Anfang März 2024 sind Andreas Hérm Baumgartner als Stiftungsvorstandsvorsitzender und Geschäftsführer sowie Annette Zühlke als Stiftungsvorstand tätig. Nach einem Jahr ihrer Tätigkeit sind neue Entwicklungslinien erkennbar, die auf der konsolidierenden Arbeit ihrer Vorgänger Paul Bischof und Robert Höpfner aufbauen und die Stiftung in eine neue Ära tragen.

Die 2003 unter der Schirmherrschaft des Dirigenten und Grassauer Ehrenbürgers Wolfgang Sawallisch und der motivierenden Mitwirkung der Musikschulpädagogen Hans-Josef Crump, Wolfgang Diem und Otto Dufter gegründete Stiftung hat als Satzungsziel ausdrücklich die regionale und überregionale Förderung musikalischer Aus- und Fortbildung besonders begabter Einzelpersonen und Ensembles. An diesem Ziel orientieren sich alle Programme, die der Stiftungsvorstand plant und durchführt. Mit Andreas Hérm Baumgartner und Annette Zühlke leiten zwei Menschen die Stiftung, die durch und durch mit Musik in all ihren Facetten vertraut sind. Baumgartner leitet das Karl Amadeus Hartmann-Center in München, das sich mit Konzerten und Forschung der Neuen Musik widmet. Annette Zühlke hat durch ihre Arbeit an der Bayerischen Staatsoper alle Fragen der Umsetzung musikalischer Werke mit vielen Künstlerinnen und Künstlern auf großer Bühne kennengelernt. Beide gehen ihren neuen Aufgaben mit Schwung und großer Freude nach.
Über das erste Jahr seiner Arbeit als Stiftungsvorstand und Geschäftsführer hat Andreas Hérm Baumgartner zu einigen Facetten seiner Arbeit Stellung genommen.

 

UG: „Vor einem Jahr haben Sie die Aufgaben des Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführers der WSS übernommen – ein Jahr intensiver Kulturarbeit zwischen München und Salzburg: Wo steht die Sawallisch-Stiftung heute?“

AHB: Zunächst möchte ich konstatieren, welch große Freude es mir ist, hier wirken zu dürfen und mit unserer musikalischen Stiftungsarbeit die Region zu bereichern. Mit den rund 70 Konzerten und 40 Meisterkursen tragen wir gerne zur kulturellen Attraktivität bei: regional, aber auch überregional und über die Landesgrenzen hinweg. Die Sawallisch-Stiftung samt Musikakademie bietet in mehrerlei Hinsicht fantastische Bedingungen für künstlerisches Wachstum und für die Förderung junger Musikerinnen und Musiker: Zum einen durch die Infrastruktur mit zwei eigenen Konzertsälen, einem Gästehaus für die ortsnahe Unterbringung der Kursteilnehmer und Dozenten. Zusätzlich dürfen wir für besondere Konzerte den Grassauer Hefter-Kultur Saal sowie die Unterwössener Achental Halle bespielen. Zum anderen besticht die Lage – verortet zwischen den Musikmetropolen München und Salzburg. Wolfgang Sawallisch war als Künstler Weltbürger, aber dennoch tief in der Region verwurzelt. Als eine der inzwischen größten privat getragenen Musikakademien heißen wir Studierende aus aller Welt bei uns willkommen. Aber von Anfang war es mir ein großes Anliegen, auf Menschen zuzugehen und die Region „mitzunehmen“. Friedrich Hölderlins „Komm ins Offene!“ ist mir Verpflichtung und steter Ansporn zugleich. So kooperieren wir in vielfältiger Weise mit der Musikschule Grassau und ihren sieben regionalen Zweigstellen: neben der Vergabe von Förderstipendien insbesondere durch gemeinsame, wechselseitige Konzerte und Kurse.

Eine regionale Vermittlungsarbeit ist mir ein weiteres Anliegen. So denke ich gern an den Besuch einer Grassauer 4. Klasse während eines Meisterkurses zurück: Die Zehnjährigen waren neugierig und voller Freude dabei, mehr über Musik zu erfahren. Sie äußersten sogar selbst den Wunsch abends ins Konzert gehen zu dürfen – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. 2025 soll dies nicht nur eine Fortsetzung finden, sondern gemeinsam mit dem Marquartsteiner Landschulheim auch ein neues interdisziplinäres Projekt zum Thema „Balladen“ (Barbara Emilia Schedel) entwickelt werden.

Einen neuen Ansatz möchten wir mit unserem Zukunftslabor „Design Thinking“ im Juni 2025 wagen. Die Bratschistin und Design Thinking-Expertin Monika Henschel wird sich mit acht Schülerinnen und Schülern unterschiedlichen Alters den Zukunftsfragen der klassischen Musik (z.B. nach deren gesellschaftlicher Relevanz) und deren Vermittlung im Allgemeinen sowie hinsichtlich der Sawallisch-Stiftung im Konkreten widmen. Wir laden auf diese Weise die Region ein, aktiv unser Wirken mitzugestalten!

Partizipation und Nachhaltigkeit sind auch Leitgedanken für unsere Meisterkurse. Die Anforderungen an junge Musikerinnen und Musiker auf der Bühne sind immens, so dass das Gelingen einer nachhaltigen Karriere nicht nur von instrumentalem und musikalischem Können, sondern auch von einer mentalen Stärke, von gelebten Strategien der Stressbewältigung und der Ernährung abhängen. Im Alltag der Hochschulen ist das oft nicht leistbar, aber bei unseren Kursen möchte ich einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. So verrät ein Blick in unsere Programme, dass wir zu vielen Kursen genauso Coaches für Bühnenpräsenz, Alexandertechnik und Dispokinesis einladen, wie Ernährungsberater, Physiotherapeuten oder auch Instrumentenbauer.

Die Sawallisch-Stiftung will ein Ort der Offenheit, ein Ort für Gespräche und für verbindende Entwicklung sein, der dazu einlädt, sich seiner Stärken, aber auch seinen Unsicherheiten und Ängsten bewusst zu werden und zu stellen. Die familiäre Atmosphäre schafft – dank unseres großartigen Teams an Mitarbeitern und Dozenten – dafür ein perfektes Umfeld.  Musiker sein erfordert den Zusammen- und Einklang von musikalischem Können, Geist, Körper und Seele!

 

UG: Ist das zu leisten in der kurzen Zeitspanne eines mehrtägigen Meisterkurses?

AHB:  Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele entscheidende Impulse man in wenigen Tagen den jungen Musikern und Musikerinnen mit auf den Weg geben kann. Die Sawallisch-Stiftung hat ja den großen Vorteil, dass Musizieren und Leben unter „einem Dach“ möglich sind: Wir bieten im Gästehaus Unterkunft und Vollverpflegung, in der Villa Probenräume und zwei Kammermusiksäle an. Während des Kurses sind die Kursteilnehmer den Herausforderungen des alltäglichen Lebens weitgehend enthoben und können sich ausschließlich auf sich selber und ihre Entwicklung konzentrieren.

Auch die international tätigen Dozentinnen und Dozenten unserer Kurse genießen die Potenziale dieses Ortes, die idealen Arbeitsbedingungen, aber auch den Spirit und die Atmosphäre, so dass sie liebend gerne wiederkommen. Das gilt ebenfalls für die Mitwirkenden unserer Klassik-Konzerte: Sie sind ja an vielen Konzertorten unterwegs, spiegeln uns erfreulicherweise jedoch immer wieder die Einmaligkeit der Sawallisch-Stiftung.

 

UG: Wie sieht das Angebot der Sawallisch-Musikakademie im Einzelnen aus?

AHB: Wir bieten pro Jahr rund 40 Meisterkurse mit über 500 Teilnehmer/innen an, die im Jungstudium, im Studium oder am Anfang ihres künstlerischen Berufswegs stehen. Vermehrt möchten wir auch begabte „Laien“ ansprechen, die unser Musikleben erst so breit und vielfältig machen. Im Jahr 2025 bieten wir nicht nur Meisterkurse mit Klassischer Musik an, sondern erstmals auch einen Meisterkurs Jazz und einen Meisterkurs Volksmusik. Neue Instrumente wie Akkordeon, Gitarre und Klavier bereichern unser Angebot ebenso wie Workshops für Improvisation und Komposition.

Hinzu kommen ganzjährig gut 70 Konzerte, deren eine Hälfte aus Abschlusskonzerten der Meisterkurse besteht. Hier treten die „Stars von Morgen“ auf und präsentieren sich und Ihr Können in meist moderierten Konzerten, in denen wir auch gerne den Zuhörern spannende Einblicke in den Unterricht gewähren. Die Besucher können auf diese Weise live dabei sein und einen Blick in die Werkstatt werfen.

In der anderen Hälfte, den Grassauer Klassikkonzerten, begegnen wir auf Grassaus „Grünem Hügel“ fantastischen, international renommierten Musikerinnen, Musikern, Ensembles und sogar Orchestern. Die Programme spiegeln das große Interesse unserer Zuhörer wider: Klassik, Jazz, Volksmusik, Kabarett und sogar musikalische Lesungen. So erreichen wir ein großes Publikum: Musikbegeisterte aus dem Achental und dem Chiemgau ebenso wie aus München und dem benachbarten Österreich und Italien.

Wir möchten aber uns nicht einfach damit begnügen, sondern uns immer wieder hinterfragen und uns weiterentwickeln. Genau hier möchte wir mit der neuen Konzertreihe für Streichquartett sawallisch4strings ansetzen: sich für Einflüsse öffnen, eine plurale Auseinandersetzung – auch über Altersgrenzen und Gesellschaftsschichten hinweg – ermöglichen, scheinbare Gewissheiten hinterfragen und Genre-Grenzen sprengen. Das Streichquartett steht ja für größte Homogenität bei gleichzeitiger Individualität der Stimmen – moderner und zeitgemäßer könnte man die Kraft der Musik und ihre gesellschaftliche Relevanz nicht ausdrücken. Diese Kraft möchten wir wieder aufs Neue entdecken. Neben den international renommierten Formationen wie z.B. Modern String Quartet, Goldmund Quartett und Henschel Quartett möchten wir insbesondere jungen, aufstrebenden Ensembles eine Plattform bieten.

Im anderen neuen Format risingStars treten bei uns junge, besonders talentierte Künstlerinnen und Künstler auf, die am Beginn einer vielversprechenden Laufbahn stehen und in deren Zukunft wir ein großes Vertrauen setzen. Wenn es – wie im Fall von Martin Reiser – gelingt, einen aus der Region stammenden Musiker wieder zurückzuholen, dann freut es mich um so mehr!

 

UG: Wie verhält es sich mit der wirtschaftlichen Situation der Sawallisch-Stiftung?

AHB: Das ist eine ganz wichtige Frage, die mich stark beschäftigt. Bei all meinem Tun ist es für mich essenziell, eine Balance zwischen künstlerischem Wollen und wirtschaftlichem Denken zu finden. Das ist unsere tagtägliche Herausforderung, gerade bei steigenden Energiekosten, fordernden und nicht kalkulierbaren Instandhaltungskosten für dieses einzigartige Kleinod aus Gästehaus, Villa und weitläufigem Park: ein zwar teures, aber unbedingt erhaltenswertes Paradies.

Angewiesen sind wir aber zweifellos auch auf ein Miteinander, auf große Unterstützung durch Freunde, Abonnenten und Förderer. Dazu zählt auch die wertvolle Gruppe der Ehrenamtlichen: Sie helfen uns in ihrer Freizeit z.B. bei der Konzertorganisation. Ich schätze das ungemein, und es macht uns allen richtig Spaß. Jeder Interessierte ist herzlich willkommen!

Ich bin unendlich dankbar, dass uns so viele Menschen in unserem Tun unterstützen: junge Musikerinnen und Musiker nachhaltig fördern und unseren wunderbaren Ort für deren Entwicklung fruchtbar halten.

Zu einem Ort der Offenheit und der Begegnung gehören auch moderate Preise: Wir freuen uns sehr, dass wir die Eintrittspreise für Konzerte und Kurse in 2025 stabil halten können. Für Schüler und Schülerinnen sind die Abschlusskonzerte zudem ganz frei und die Klassikkonzerte für 5 Euro erhältlich. Hinzu kommt: Für Jugendliche und Lehrkräfte der Musikschule Grassau ist der Eintritt für sämtliche Konzerte kostenfrei. Wir investieren ja gemeinsam in unsere Zukunft!

Interview und Text: Uta Grabmüller